Schulrecht in der Schweiz: 21 häufige Fragen von Lehrpersonen

Auch wenn wir es uns nicht ausgesucht haben, tragen wir Lehrpersonen rechtliche Verantwortung. Im Schulalltag begegnen uns nahezu täglich Situationen, in denen wir Entscheidungen binnen Minuten oder gar weniger Sekunden treffen müssen. Ein unbedachtes Foto, ein zu lange einbehaltenes Handy oder eine Medikamentengabe ohne Absprache können dich rasch in ein juristisches Dilemma bringen.

An den pädagogischen Hochschulen werden zwar umfangreiche Vorlesungen und Seminare zum Thema Schulrecht gehalten, bis zur Umsetzung im Lehrberuf geraten sie jedoch häufig wieder in Vergessenheit. Im Schulalltag tauchen diese wichtigen Fragen jedoch ständig auf:

  • Darf ich Fotos der Kinder machen?
  • Wann muss ich die Polizei einschalten?
  • Haften wir als Schule, wenn ein Gerät verschwindet?
  • Was ist meine Verantwortung bei einem Badeausflug?

Deshalb haben wir Renate Sgier zu Pädagogik+ eingeladen und ein besonders wertvolles Webinar mit ihr durchgeführt. Regine ist nicht nur Lehrerin und Schulleiterin, sondern auch Anwältin – eine Kombination, die man selten findet. Da sie aber sowohl die pädagogische Praxis als auch die juristische Perspektive kennt, weiss sie genau, wo Lehrpersonen im Alltag unsicher werden.

Schnell wurde deutlich: Viele Situationen, die Lehrpersonen täglich erleben, sind rechtlich heikel. Von Fotos und Datenschutz über Cybermobbing und Devices (Smartwatch, Tracker & Co.) bis hin zu Ausflügen, Medikamentengaben und speziellen Haftungsfragen.

Häufig stellen sich Lehrpersonen dieselben Fragen: «Darf ich das überhaupt?» oder «Was passiert, wenn doch etwas schiefgeht?» Damit du im Schulalltag mehr Sicherheit gewinnst, haben wir die 21 häufigsten Fragen aus dem Webinar gesammelt – und mit klaren, praxisnahen Antworten ergänzt.

Hinweis: *Schulrecht ist in der Schweiz kantonal geprägt. Die folgenden Antworten geben praxistaugliche Leitlinien. Kläre Spezialfälle mit deiner Schulleitung oder den kantonalen Vorgaben.*

👉 Mehr über Renate Sgier und ihr Angebot findest du auf ihrer Webseite: SchulRechtDirekt.ch

🏫 Themenbereich: Sorgfalts- und Aufsichtspflicht

1. Was bedeutet «Sorgfaltspflicht» konkret für Lehrpersonen?
Sorgfaltspflicht meint Risiken vorausschauend einschätzen zu können, entsprechende Massnahmen zu treffen und die Entscheidung kurz schriftlich zu dokumentieren. Entscheidend sind Alter, Setting (Halle, Aussenbereiche, Badi) und die Gruppendynamik. Absolute Sicherheit ist unmöglich – entscheidend ist eine vorausschauende Haltung.

2. Darf ein krankes Kind in der Pause allein im Klassenzimmer bleiben?
Ja, wenn es alt und urteilsfähig genug ist. Bei jüngeren oder besonders auffälligen Kindern solltest du besser in der Nähe bleiben. Entscheidung kurz dokumentieren.

3. Muss ich auffällige Kinder von riskanten Aktivitäten ausschliessen?
Ja, wenn die Sicherheit gefährdet ist. Ein Ausschluss ist zulässig, wenn das Risiko für das Kind selbst oder die anderen Kinder zu hoch ist. Biete eine Alternative an und dokumentiere die Entscheidung.

Themenbereich: Datenschutz, Fotos und Videos

4. Brauchen wir Einwilligungen für interne Fotos?

Für interne Zwecke wie Dokumentation, Reflexion oder Fotobücher ist in der Regel keine Einwilligung nötig. Dennoch ist es sehr wichtig, die Eltern transparent zu informieren und die Aufbewahrungsfristen klar zu regeln und zu kommunizieren.


5. Und für externe Veröffentlichungen (Social Media / Homepage / andere Medien)?

Hier muss immer eine schriftliche Einwilligung der Eltern vorliegen. Bei erkennbaren Portraits solltest du zusätzlich altersabhängig das Kind einbeziehen. Umfang und Zweck müssen klar benannt werden.


6. Theateraufführung filmen: Was tun, wenn Eltern Widerspruch einlegen?

Klärt den Widerspruch vorab und bietet Alternativen an, zum Beispiel eine Version ohne das betroffene Kind (Kind wird im Schnitt entfernt). Dokumentiert nachvollziehbar, wie der Widerspruch berücksichtigt wurde.

📱 Themenbereich: Cybermobbing, Smartphones und Devices

  1. Müssen wir auf Cybermobbing reagieren, auch wenn es kein Straftatbestand ist?

    Ja. Teile davon können strafbar sein (Drohung, Nötigung, unbefugte Datenverwendung). Handle pädagogisch, sichere Beweise, binde Eltern und Schulleitung sofort ein und ziehe bei Bedarf Fachstellen hinzu.

  2. Ab wann sind Kinder in der Schweiz strafmündig?

    Ab 10 Jahren. Spätestens ab der 4. Klasse gehören Prävention, klare Klassenregeln und definierte Meldewege zum Standard.

  3. Dürfen wir Handys durchsuchen, wenn ein Kind uns etwas zeigt?

    Nein. Geräte dürfen eingesammelt und bis Tagesende verwahrt werden. Bei Verdacht auf strafbare Inhalte müssen die Geräte ungeöffnet der Polizei übergeben werden.

  4. Wie lange dürfen wir Smartphones oder Smartwatches einziehen?

    Grundsätzlich gilt, dass die Rückgabe am Ende des Tages erfolgen muss. Eine längere Aufbewahrung ist nur zulässig, wenn dies eine klare schulische Regel vorsieht oder die Polizei eingeschaltet wird.

  5. Sind AirTags im Rucksack erlaubt?

    Wir empfehlen, es zu untersagen. Tracking kollidiert mit dem Datenschutz und kann Aufsichtspflichten unterlaufen. Nimm das Verbot in die Hausordnung auf und kommuniziere es klar an Lernende, Eltern und Kolleginnen sowie Kollegen.

💊 Themenbereich: Gesundheit, Medikamente und Notfälle

12. Dürfen wir Kopfschmerztabletten abgeben?

Nein, ausser es besteht eine schriftliche Vereinbarung mit den Eltern. Die Lagerung und Abgabe muss in jedem Fall klar geregelt sein.

13. Was gilt für EpiPens und Diabetes-Sets?

Ebenfalls nur erlaubt auf Basis einer schriftlichen Vereinbarung mit konkreten Abläufen. Im Notfall sind Lehrpersonen angehalten, Kinder zur Selbstanwendung zu befähigen. Zuständigkeiten sollten im Team festgelegt werden.

14. Wie bleibt unser Team fit für einen Notfall?

Denkt an regelmässige Auffrischungen durch Nothelfer-Schulungen sowie gut auffindbare Notfallkarten in den Räumen. Definiert die unterschiedlichen Rollen und stellt klare Vertretungslösungen auf.

🩱 Themenbereich: Ausflüge, Baden und Sport

15. Dürfen wir ohne SLRG-Ausweis in die Badi?

Rechtlich ist es möglich, pädagogisch jedoch heikel. Die Anwesenheit eines Bademeisters entbindet Lehrpersonen nicht von ihrer Aufsichtspflicht. Lege klare Regeln fest, definiere Schwimmzonen eindeutig und bestimme die Gruppengrösse sorgfältig.

16. Ist Schwimmen im See oder Fluss erlaubt?

Nur mit qualifizierter Aufsicht, realistischer Selbsteinschätzung der Gruppe und klar gesetzten Grenzen verantwortbar. Bei Zweifeln Setting anpassen, zum Beispiel Uferbereich oder Nichtschwimmerzone.

17. Darf eine Vikarin spontan mit der Klasse an den See?

Das ist riskant. Ohne genaue Kenntnis der Klasse und ohne entsprechende Qualifikation besser darauf verzichten oder ein sicheres Alternativprogramm anbieten.

18. Dürfen Kinder auf Bäume klettern?

Ja, es handelt sich hierbei um ein sozial erlaubtes Risiko. Regeln und Grenzen vorab klar festlegen, Standort sorgfältig prüfen und Aufsicht der Situation anpassen.

19. Wie sichere ich mich bei Unihockey oder beim Turnen ab?

Material regelmässig prüfen und Spielfeld sowie Regeln an Alter, Leistungsstand und Gruppe anpassen. Störungen konsequent und verhältnismässig adressieren. Vorfälle kurz und sachlich protokollieren.

⚖️ Themenbereich: Haftung, Versicherungen und Privates

20. Wann haften Lehrpersonen zivil- oder strafrechtlich?

Zivilrechtlich haftet der Staat, ausser bei grober Fahrlässigkeit. Strafrechtlich verantwortet jede Lehrperson ihr Handeln selbst.
Senke dein Risiko, indem du Entscheidungen sorgfältig dokumentierst.

21. Dürfen Lehrpersonen Influencerinnen oder Influencer sein?

Ja. Die Grundrechte gelten auch für Lehrpersonen (Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Recht auf Privatsphäre).
Problematisch wird es bei Verletzung der Loyalitätspflicht oder wenn der Ruf der Schule leidet.
Trenne die Rollen sauber und beachte kantonale Vorgaben.

Schulrecht Fragen

6 praktische Tipps zur Umsetzung im Schulalltag

  • Checklisten nutzen: Vor Ausflügen einen kurzen Risiko-Check machen (Gruppe, Setting, Aufsicht, Kommunikation) und in 2–3 Sätzen dokumentieren.
  • Transparenz leben: Eltern regelmässig, kurz und klar informieren, statt auf komplizierte Einwilligungsdokumente zurückzugreifen.
  • Hausordnung aktualisieren: Regeln zu Handys, Smartwatches und Trackern festhalten – so bist du bei Konflikten abgesichert.
  • Notfallschulungen nicht vergessen: Mindestens alle zwei Jahre Nothelferkurs auffrischen und klare Abläufe für Krisen (z. B. EpiPen, Unfall, Cybervorfall) definieren.
  • Cybermobbing-Prävention ab der 4. Klasse einbauen: Rechte, Meldewege und No-Go’s thematisieren. Besser vorbeugen als hinterher klären.
  • Dokumentation kurz & pragmatisch halten: 2–5 Sätze genügen, um deine Überlegung nachvollziehbar zu machen – das schützt dich rechtlich.

Rechtliche Sicherheit bedeutet nicht, jedes Gesetz im Detail zu kennen. Es bedeutet, bewusst, vorbereitet und dokumentiert zu handeln.

Fazit: Klarheit schafft Sicherheit

Handle pragmatisch, dokumentiere sowohl die Situation als auch deine Entscheidungen kurz und halte die Absprachen schriftlich fest. Wo Unsicherheit bleibt, solltest du dir frühzeitig Unterstützung sichern, beispielsweise bei der Schulleitung, Fachstellen, Schulrechtsberatung oder dem Berufsverband. Externe Hilfe ist kein Zeichen von Schwäche, sondern professionelles Risikomanagement, das dich, die Lernenden und die Schule schützt. So handelst du professionell, stärkst die Sicherheit deiner Klasse und sicherst dich selbst ebenfalls besser ab. 

Unser «Schulrecht-Cheat-Sheet» für dich:

Alles Wichtige auf einen Blick: Sichere dir unsere Vorlagen für die Praxis. Sie sind sofort einsetzbar und rechtlich sicher, damit du ohne unnötige Sorgen als Lehrperson agieren kannst:

Folgende Vorlagen sind inklusive:
• Vorlage: Elterninfo «Umgang mit Fotos und Videos in der Schule»
• Vorlage: «Einwilligung externe Veröffentlichungen»
• Vorlage: «Medikamenten-Vereinbarung»
• Vorlage: «Kurzprotokoll und Risiko-Check für Ausflüge»

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👉 Du brauchst spezifische Beratung oder ein Coaching zum Thema?
Mehr findest du bei Regine Sgier auf: schulrecht-direkt.ch

Disclaimer: Dieser Beitrag ersetzt keine Rechtsberatung. Verbindlich sind die kantonalen Gesetze, Verordnungen und Weisungen deiner Schule.

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