Ich, ich, ich und nur ich
In meiner 1. Klasse habe ich mehrere Kinder, welche ich sehr ICH-bezogen erlebe.
Sie möchten immer zuerst mit Sprechen drankommen, wollen z.B. beim Geburtstags-Znüni das erste Stück Kuchen. Sie sind laut und rufen sehr oft: „ICH, ICH, ICH.“
Wie kann ich sie dazu bringen, dass sie mehr Rücksicht auf die anderen nehmen und auch andere einmal vorlassen?
Es ist ganz normal, dass Kinder in der 1. Klasse oft sehr ich-bezogen sind. Sie befinden sich in einem Entwicklungsstadium, in dem sie ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche stark wahrnehmen. Dennoch ist es wichtig, dass sie lernen, Rücksicht auf andere zu nehmen und den Bedürfnisaufschub zu üben. Diese Fähigkeit wird ihnen nicht nur in der Schule, sondern auch im späteren Leben enorm helfen.
Eine Möglichkeit, den Kindern den Bedürfnisaufschub näherzubringen, ist, klare Erwartungen und Regeln im Voraus zu kommunizieren. Beim Verteilen des Geburtstagskuchens könntest du ankündigen, dass diejenigen, die am lautesten „ICH, ICH, ICH“ rufen, als Letzte dran kommen werden. Das schafft ein Bewusstsein dafür, dass Geduld und Rücksicht belohnt werden. Eine klare Reihenfolge vorab zu bestimmen und diese den Kindern mitzuteilen, hilft ebenfalls, Unruhe zu vermeiden und den Prozess geordnet zu gestalten.
Achtsamkeitsübungen können ebenfalls sehr hilfreich sein. Diese Übungen fördern nicht nur die Selbstwahrnehmung, sondern auch das Bewusstsein für die Bedürfnisse und Gefühle der anderen. Einfache Übungen wie eine kurze Meditation oder Atemübungen können den Kindern helfen, zur Ruhe zu kommen und sich auf den Moment zu konzentrieren. Diese Übungen können regelmässig in den Unterricht eingebaut werden, um langfristig die Selbstregulation und Empathie der Kinder zu stärken.
Zusätzlich kann durch Rollenspiele oder Geschichten das Verständnis für die Perspektiven anderer gefördert werden. In einer sicheren Umgebung können die Kinder üben, sich in andere hineinzuversetzen und gemeinsam Lösungen zu finden, wie man fair miteinander umgeht.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist es, positive Verhaltensweisen zu verstärken. Lobe die Kinder, wenn sie Rücksicht auf andere nehmen oder geduldig warten. Positive Verstärkung zeigt ihnen, dass ihr Verhalten gesehen und wertgeschätzt wird und motiviert sie, dieses Verhalten öfter zu zeigen.
Indem du diese Ansätze integrierst, trägst du dazu bei, dass die Kinder nicht nur ihre eigenen Bedürfnisse erkennen und ausdrücken, sondern auch lernen, die Bedürfnisse ihrer Mitschüler zu respektieren und darauf Rücksicht zu nehmen. Dies ist eine wertvolle Lektion für das Leben und fördert ein harmonisches und unterstützendes Klassenklima.
Die Bedürfnisse der Kinder in der heutigen Zeit, bekommen viel mehr Raum als früher. Der Individualismus wird bei uns in der Gesellschaft gross geschrieben. Es ist eine Grundvoraussetzung für ein glückliches Leben, seine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und für sie einzustehen. Die Unterscheidung zwischen gesunder Selbstfürsorge und Egoismus ist auch für viele Erwachsenen nicht klar. Gerade Schulklassen sind ein wunderbares Übungsfeld, um zu erfahren, dass es möglich ist, dass alle einen Platz bekommen und gehört werden. Hier kann das Miteinander täglich geübt werden.
Im Ordner “DENK-WEGE” im Unterstufenordner gibt es zu diesem Thema ein ganz einfaches Spiel:
Jedes Kind bekommt ein Sugus. In der 1. Runde ist die Aufgabe, damit ohne Worte im Raum herumzugehen und darauf zu achten, dass niemand das eigene Sugus wegnimmt.
Ich habe erlebt, dass dabei eine hektische Stimmung entsteht, denn sie versuchen einander das Sugus wegzunehmen und verteidigen ihr eigenes.
In der 2. Runde ist die Aufgabe, dass wieder alle im Raum herumgehen, ohne zu sprechen und das Sugus verschenken.
Da alle ihr Sugus weitergeben, ist es ein ständiges Geben und Nehmen. Alle sind entspannt und offen. Diese Stimmung zu spüren, ist sehr wirkungsvoll. Durch die beiden gegensätzlichen Erfahrungen, wird es noch deutlicher.
Wenn es in der Klasse wieder einmal eine hektische Situation gibt, weil alle zuerst drankommen wollen, reicht es danach, ans Sugus-Spiel zu erinnern.
Viel Freude beim Ausprobieren