Schule Neu Denken

Die Schule, wie wir sie kennen, ist geprägt von langen Traditionen, Routinen und festen Strukturen. Vieles davon hat seinen Wert – aber gleichzeitig merken wir alle: Die Welt um uns verändert sich rasant. Gesellschaft, Technologie und die Bedürfnisse von Kindern sind heute nicht mehr dieselben wie vor 30 Jahren. Schule neu zu denken heisst nicht, das Alte schlechtzureden, sondern mutig zu fragen: Passt das, was wir tun, noch zu den Kindern von heute – und zu den Herausforderungen von morgen?

Genau darum haben wir drei Expert*innen eingeladen, die aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln zeigen, wie Veränderung möglich wird:

  • Philippe Wampfler: Digitale Kultur, Lernen mit Medien, Partizipation und Vertrauen – er zeigt, wie Schule durch Offenheit und digitale Tools lebendig wird.

  • Joachim Dell: Ehemaliger Schulleiter, der mit Team-Teaching, offenen Räumen und selbstorganisiertem Lernen Erfahrungen gesammelt hat, die Mut machen. Sein Motto: Vom Einzelkämpfer zur Crew.

  • Jean-Philipp Hagmann: Innovationsberater, der verdeutlicht, warum Veränderung so schwer ist – und wie sie trotzdem gelingt, wenn wir klein anfangen, Fragen neu stellen und mutig experimentieren.

Für dich als Lehrperson steckt darin ein grosser Gewinn:

  • Du bekommst Impulse, die deinen Unterricht leichter machen, weil du nicht ständig gegen Widerstände ankämpfen musst, sondern Strukturen findest, die dich tragen.

  • Du erlebst, wie Fehler und Überraschungen zum Motor für Lernen werden können – für deine Schüler*innen und für dich selbst.

  • Du siehst, dass du nicht alleine bist: Viele Kolleg*innen haben ähnliche Fragen und Herausforderungen. Diese Webinare öffnen Türen zu Erfahrungen, Strategien und erprobten Beispielen, die du direkt in deiner Klasse nutzen kannst.

Schule neu denken heisst nicht, alles von Grund auf neu zu erfinden. Es bedeutet, bewusst kleine Experimentierräume zu schaffen, die sich nach und nach ausweiten dürfen – immer mit Blick auf das, was Kindern wirklich hilft. Diese drei Inputs schenken dir Klarheit, Mut und konkrete Umsetzungsideen.

1. Mutige Schritte mit Philippe Wampfler

Im Gespräch mit Philipp Wampfler dreht sich um eine Schule, die Kinder ernst nimmt: Partizipation statt „beschult werden“, agile Didaktik statt starrer Stoffabspulung, ehrliche Beziehungsarbeit statt Rollenspiel („Studenting“). Beurteilung soll Lernen sichtbar machen (Portfolios, Kompetenzraster), nicht primär selektionieren. Elternarbeit braucht Transparenz, Individualisierung und Vertrauen. Strukturen dürfen Halt geben – aber sie sollen Freiräume für Selbstwirksamkeit öffnen.

Takeaways

  • Partizipation als Haltung (Whole-School): Schüler*innen gehören in Gremien, Sitzungen und sogar Bewerbungsgespräche – mit echter Mitsprache und Verantwortung.

  • Agile Didaktik ≠ unvorbereitet: Gut vorbereitet sein, aber im Moment den nächsten besten Schritt am Lernstand der Klasse ausrichten.

  • Struktur + Freiheit: Rituale geben Sicherheit; innerhalb davon entstehen offene Arbeitsphasen mit unterschiedlichen Wegen/Tempi.

  • „Studenting“ vs. Lernen: Schul-Rollenspiel (Heft füllen, „richtig“ wirken, Hausaufgaben abschreiben) mindert Lernqualität. Gute Settings minimieren Studenting.

  • Druck durch Selektion/Prüfungen: Fokus auf Denk- und Problemlösekompetenz statt vollständiger Stoff-Checkliste; Transparenz, wo Zusatztraining nötig ist.

  • Beurteilung als Entwicklungsspiegel: Portfolios + Kompetenzraster machen Können nachvollziehbar; Noten treten zurück (oder werden nur systemintern geführt).

  • Elternkommunikation individualisieren: Nicht „alle Eltern“ – Bedürfnisse unterscheiden sich. Vertrauen entsteht durch klare Beispiele aus Portfolio & Zielvereinbarung.

  • Ressourcen & Coaching: Echte Begleitung vieler Individuen ist anspruchsvoll – Coaching-Elemente helfen, auch wenn Systemgrenzen bleiben.

  • Integrität & Ehrlichkeit: Offen über KI/Hausaufgaben umgehen: lieber ehrlich „nicht geschafft“ als Scheinleistung.

 

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Umsetzung fürs Klassenzimmer

1. Partizipation ernst meinen

  • Schüler*innen-Rat einführen (feste Rollen: Protokoll, Zeitwächter, Themen-Sammler).

  • Echte Beteiligung: Bei Projekten oder kleinen Entscheidungen Mitsprache mit Verantwortung koppeln (z. B. Wer etwas vorschlägt, übernimmt auch einen Teil der Umsetzung).

  • Einblicke geben: Kindern erklären, wie Entscheidungen zustande kommen – nicht nur Ergebnis mitteilen.

2. Agile Didaktik leben

  • Vorbereitet, aber offen: Materialien in Reserve haben, aber je nach Klasse/Tag flexibel entscheiden, was passt.

  • „Nächster bester Schritt“: Unterricht am Lernstand ausrichten, nicht am Plan abspulen.

  • Reflexionsfragen: „Was hat euch heute am meisten geholfen?“ – damit die Klasse merkt, dass ihr Beitrag den Verlauf bestimmt.

3. Studenting reduzieren

  • Erlaubnis zur Ehrlichkeit: „Ich weiss es (noch) nicht“ ist erlaubt.

  • Aufgaben = echt, nicht fürs Theater: Keine künstlichen Heftkontrollen oder Füllarbeiten, sondern Belege, die Sinn haben.

  • Sprich es an: Mit der Klasse über „Studenting“ reden und gemeinsam entscheiden, welche Regeln wirklich fürs Lernen nötig sind.

4. Struktur + Freiheit verbinden

  • Rituale geben Sicherheit (gleiche Starts/Schlussrunden).

  • Arbeitsphasen offen halten: Kinder dürfen Tempo und teilweise Inhalte wählen.

  • Differenzierung: Zusatzaufgaben für Schnellere, Unterstützung für Langsamere – ohne alle in denselben Takt zu zwingen.

5. Prüfungs- und Notendruck entgiften

  • Kompetenzen betonen: „Wir lernen, wie man denkt und Probleme löst“ statt „Wir müssen alles durchnehmen“.

  • Zusatzpfade anbieten: Spezielle Dossiers/Trainings nur für Kinder, die eine Prüfung anstreben – kein Zwang für alle.

  • Elternkommunikation transparent: Klar machen, dass Lernhaltung und Strategien wichtiger sind als Lückenfreiheit.

6. Beurteilung als Lernspiegel

    • Kompetenzraster + Portfolios nutzen, um Fortschritt sichtbar zu machen.

    • Lerngespräche regelmässig führen (Kind reflektiert: „Was kann ich schon? Wo übe ich noch?“).

    • Elternwahl ermöglichen: Portfolio-Bericht in den Vordergrund stellen, Note nur als Systemanforderung.

 

2. Neue Türen öffnen mit Joachim Dell

Takeaways

  • Vom Einzelkämpfer zur Crew: Unterricht und Verantwortung werden geteilt („unsere Lernenden, unser Unterricht“), nicht „mein Fach, meine Klasse“.

  • Team-Teaching & flexible Rollen: Lehrpersonen nutzen bewusst ihre Stärken, geben Schwächen frei zu – das macht frei und glaubwürdig.

  • Selbstorganisiertes Lernen ≠ Allein lassen: Probleme/Lernaufgaben gemeinsam denken, in Gruppen lösen, Entscheidungen mit Lernenden treffen.

  • Räume & Zeiten öffnen: Türen auf, Gruppentische, bewegliche Settings; der Bedarf der Lernenden steuert, nicht die Stundentafel.

  • Gemeinschaft vor Konkurrenz: Helfen & Hilfe annehmen explizit wertschätzen; Wettbewerb reduziert Lernfreude und erhöht Stress.

  • Kommunikation ist die halbe Miete: Lernende und Eltern verstehen das Warum – Verantwortung wandert vom „Lehrer bringt bei“ zu „ich lerne“.

  • Start mit Beziehungsarbeit: Die ersten Wochen dienen dem Kennenlernen, Teambuilding, Regeln gemeinsam entwickeln.

  • Differenzierung durch Teamstruktur: Starke lernen durch Erklären tiefer, Schwächere profitieren – alle gewinnen.

  • Inseln bauen statt alles auf einmal: Mit 2–3 Kolleg*innen ein Pilot-Setting starten; Transparenz nach innen und aussen.

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Umsetzung im Klassenzimmer

1) Sofort: Team & Setting

  • Verbündete suchen (2–3 Personen). Ziel: eine Klasse/Gruppe gemeinsam übernehmen.

  • Raum umbauen: Gruppentische, „Wohnlichkeit“ (Teppich/Ecke), Materialstation. Türen zu Nachbarklassen möglichst offen halten.

  • Rollen im Team klären: Wer moderiert, wer diagnostiziert, wer ist „On-Call“ für Deeskalation?

2) Startphase (erste 3–4 Wochen)

  • Sozial starten statt Stoff jagen: Täglich 1 Teambuilding-/Kooperationsaufgabe.

  • Regeln gemeinsam entwickeln: „Wie lernen wir fair, ruhig, miteinander?“ – sichtbar posten, wöchentlich kurz nachjustieren.

  • Meta-Kommunikation: Warum Selbstorganisation anspruchsvoll, aber lohnend ist (Verantwortung, Freude, Zukunftsfähigkeit).

3) Lernformate (laufend)

  • Problem-first statt Plan-Abhaken: Gib echte Aufgaben mit mehreren Lösungswegen (z. B. „Wie planen wir einen Klassenevent?“, mit Mathe/Deutsch/ICT drin).

  • Gruppen mit klaren Rollen: Sprecher*in, Protokoll, Material, Coach (rotierend).

  • Lehrkraft als Mentor: Während Gruppen arbeiten, führst du Mini-Dialoge: „Wo stehst du? Nächster Schritt? Woran machst du Erfolg fest?“

4) Differenzierung ohne Extraaufwand

  • Drei Tiefen pro Aufgabe: Basis – Transfer – Challenge.

  • Peer-Tutoring bewusst nutzen: „Wer hat’s verstanden und erklärt’s einer anderen Gruppe in 3 Minuten?“

  • Schnell/Langsam auffangen: Früh-Fertige = Vertiefung/Coach-Aufträge; Wer ringt = kurze 1:1-Impulse, nicht Frontalreprise.

5) Eltern an Bord holen

  • Info in 10 Minuten: Was, warum, wie messen wir Erfolg (Lernprodukte, kurze Reflexion), keine Überraschungen.

  • Team präsentiert, nicht Einzelne. Einladung: „Fragen? Sorgen? Wir hören zu.“

Mini-Toolbox

A. Gesprächs-Script (Tag 1, 2 Minuten)
„Wir lernen ab heute miteinander. Helfen macht stolz, Hilfe annehmen macht stark. Wir probieren, irren, verbessern – gemeinsam.“

B. Wochenroutine (immer gleich, braucht 5–7 Min)

  • Montag-Start: Zielkarte: Diese Woche will ich… (1 Satz, messbar)

  • Mittwoch-Check: Was lief? Wo hakt’s? Wen frage ich?

  • Freitag-Exit: Beweisstück + 1 Satz: „Das habe ich gelernt, so habe ich’s geschafft.“

C. 3 schnelle Kooperationsaufgaben

  1. 60-Sekunden-Erklärung: Erkläre deiner Gruppe ein Teilproblem in 60 s – Gruppe stellt 1 Rückfrage.

  2. Fehler-Freudenfest: Eine Gruppe präsentiert einen Fehler + wie sie ihn gelöst hat.

  3. Stille Bauleitung: Eine Person beschreibt, die anderen bauen/zeichnen ohne zu sprechen.

D. Eltern-Mail (3 Sätze, copy-paste)
„Wir öffnen Lernen: mehr Zusammenarbeit, echte Probleme, klare Ziele. Ihr Kind trägt Verantwortung – wir coachen. Erfolg zeigen wir über Lernprodukte & kurze Reflexionen; Noten bleiben transparent anschlussfähig.“

30–60–90

  • 0–30 Tage: Team fixieren, Raum umstellen, 3 Kooperationsrituale etablieren, 1 fächerübergreifende Wochenaufgabe testen.

  • 31–60 Tage: Drei-Tiefen-Aufgabenbank bauen, Elternabend/Info durchführen, Peer-Tutoring systematisieren.

  • 61–90 Tage: Stundenplan flexibel denken (Block für Projektarbeit), Tür-auf-Kooperation mit Nachbarklasse, Mini-Evaluation (1 Frage pro Stakeholder: Was hilft dir am meisten?).

 

 

3. Innovation in der Schule mit Jean-Philipp Hagmann

Innovation ist nicht automatisch gut. Wichtig ist, immer wieder zu prüfen: „Stimmt die Regel von früher noch?“

  • Zwei Arten von Innovation:

    • Schrittweise: Bestehendes verbessern.

    • Radikal: Problem neu denken → alternative Lösung.

  • Erster Schritt ist der schwerste (Haftreibung). Sobald Bewegung drin ist, geht’s leichter (Gleitreibung).

  • Systemabhängigkeit (QWERTZ-Effekt). Bestehende Systeme hängen aneinander – Noten, Wirtschaft, Uni etc. → schwer, auszubrechen.

  • Lokales vs. globales Maximum. Wir optimieren das Alte, statt Neues von Grund auf zu wagen.

  • Selbsterhalt von Systemen. Systeme stossen Neues ab, auch wenn alle wissen, dass es nicht sinnvoll ist.

  • Sokratische Ignoranz. Bewusstsein, dass wir vieles nicht wissen → Motor für Neugier und Kreativität.

  • Mehr ist nicht immer besser. Wir neigen dazu, durch Ergänzungen zu lösen, statt durch Weglassen (Subtraktion).

  • Die Frage bestimmt die Lösung. Neue Fragen öffnen neue Möglichkeiten („Wie schützen wir Köpfe ohne Helm?“).

Innoation in der Schule: Zusammenfassung herunterladen

https://vimeo.com/1007190928?share=copy

Umsetzung im Klassenzimmer

1) Mini-Demo „Erster Schritt“

  • Radiergummi auf Schiefertafel kippen → Haftreibung.

  • Transferfrage: „Welcher kleinste erste Schritt bringt dich heute ins Rollen?“ (z. B. ein Wort schreiben, Schuhe anziehen).

2) QWERTZ-Puzzle

  • Tastatur ausdrucken, Buchstaben ausschneiden. Auftrag: „Baut eine bessere Tastatur!“

  • Reflexion: „Warum nutzen wir trotzdem QWERTZ?“ → Abhängigkeit von Systemen sichtbar machen.

3) Weisse-Flecken-Tafel

  • Spalte A: „Was wir wissen“

  • Spalte B: „Was wir noch nicht wissen“

  • B bewusst feiern → Neugier anregen.

4) Subtraktions-Übung

  • Frage: „Wie machen wir die Aufgabe leichter, wenn wir etwas weglassen?“

  • Beispiel: Text kürzen statt mehr Hilfen hinzufügen.

5) Frage-Reframing

  • Zwei Versionen derselben Aufgabe stellen:

    • „Wie … verbessern?“

    • „Wie … ohne …?“

  • Schüler*innen sehen: andere Fragen → andere Lösungen.

6) Fehler = Überraschung

  • Neues Vokabular einführen: „Fehler = Überraschung“.

  • Ritual: Am Ende jeder Stunde schreibt jede*r: „Heute hat mich überrascht, dass …“

Kommentare

Philippe Wampfler

Philipp Wampfler (*1977) ist Fachdidaktiker, Autor und einer der profiliertesten Stimmen der deutschsprachigen Bildungsdebatte. Er arbeitet an der Universität Zürich als Dozent für Fachdidaktik Deutsch und begleitet Schulen in Fragen der digitalen Transformation, Partizipation und Lernkultur.

Wampfler ist bekannt für seine pointierten Analysen und mutigen Vorschläge, wie Schule neu gedacht werden kann – weg vom reinen Stoffdurchlauf hin zu echter Selbstwirksamkeit, Partizipation und Beziehungskultur. In seinen Büchern, Blogs und Vorträgen plädiert er für eine Schule, die Kinder als denkende, fühlende und handelnde Menschen ernst nimmt.

Mit seinem Buch «Mehr als 0 und 1 – Schule in einer digitalisierten Welt» hat er die Diskussion um digitale Bildung geprägt. In seinem jüngsten Werk «Lecole c’est moi – Schule anders denken» entwirft er eine Schule, die durch Vertrauen, Eigenverantwortung und agile Didaktik geprägt ist.

Als Vater von drei Kindern, Lehrer und Forscher verbindet er persönliche Erfahrung mit wissenschaftlichem Blick – stets mit dem Ziel, ein Bildungssystem zu gestalten, das Kindern Zukunft eröffnet.

Joachim Dell

Joachim Dell ist Schulleiter a. D., Pädagoge und Schulentwickler mit starkem Praxisfokus. Nach einer Schlosserlehre studierte er Maschinenbau und später Lehramt – dieser ungewöhnliche Weg prägt seinen Blick auf Lernen: nicht Stoff abspulen, sondern Verantwortung, Neugier und Zusammenarbeit fördern.
Als Lehrer und später als Schulleiter baute er Team-Teaching, jahrgangsübergreifende Lernsettings und selbstorganisiertes Lernen konsequent aus: Türen auf, Lernräume flexibel, der Bedarf der Lernenden steuert den Einsatz der Lehrpersonen. Seine Leitidee: Vom Einzelkämpfer zur Crew – „unsere Lernenden, unser Unterricht“.
Dell steht für klare Kommunikation mit Eltern, echte Partizipation von Schüler*innen, Fokus auf Kompetenzen statt Konkurrenz und eine Startphase, in der Beziehungsarbeit wichtiger ist als der Lehrplan-Takt. Schulen berät er dabei, kleine, wirksame Inseln der Veränderung zu bauen, die später ins System ausstrahlen.

Jean-Philippe Hagmann

ean-Philipp ist Innovationsstratege, Autor und Vortragsredner. Er arbeitet vorwiegend mit Unternehmen an echter Innovation – weit über „besser machen“ (inkrementell) hinaus hin zu radikalen Neudenken: vom Problem her, mit klugen Fragen statt schnellen Antworten. In seinen Inputs verbindet er Physik- und Designbilder (z. B. Haftreibung, lokales vs. globales Maximum, Pfadabhängigkeit/QWERTZ, Subtraktion statt Addition) mit alltagsnahen Übungen.
Zur Schule bezieht er klar Position: erst Beziehung & Sinn, dann Struktur. Veränderung gelingt über kleine, freiwillige Experimentierräume („Zellen“) neben dem Kerngeschäft, die lernen dürfen – statt das ganze System auf einmal zu kippen. Bekannt ist er ausserdem für seine Sketchnotes und den Kartonschultisch (leichter, günstiger, höhenverstellbar), den er als Designer mitentwickelt hat. Sein Buch «Hört auf, Innovationstheater zu spielen» (und zwei weitere) richtet sich an Organisationen, die Wirkung statt Show wollen.

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Im Gespräch mit Philipp Wampfler dreht sich um eine Schule, die Kinder ernst nimmt: Partizipation statt „beschult werden“, agile Didaktik statt starrer Stoffabspulung, ehrliche Beziehungsarbeit statt Rollenspiel („Studenting“). Beurteilung soll Lernen sichtbar machen (Portfolios, Kompetenzraster), nicht primär selektionieren. Elternarbeit braucht Transparenz, Individualisierung und Vertrauen. Strukturen dürfen Halt geben – aber sie sollen Freiräume für Selbstwirksamkeit öffnen.

Takeaways

  • Partizipation als Haltung (Whole-School): Schüler*innen gehören in Gremien, Sitzungen und sogar Bewerbungsgespräche – mit echter Mitsprache und Verantwortung.

  • Agile Didaktik ≠ unvorbereitet: Gut vorbereitet sein, aber im Moment den nächsten besten Schritt am Lernstand der Klasse ausrichten.

  • Struktur + Freiheit: Rituale geben Sicherheit; innerhalb davon entstehen offene Arbeitsphasen mit unterschiedlichen Wegen/Tempi.

  • „Studenting“ vs. Lernen: Schul-Rollenspiel (Heft füllen, „richtig“ wirken, Hausaufgaben abschreiben) mindert Lernqualität. Gute Settings minimieren Studenting.

  • Druck durch Selektion/Prüfungen: Fokus auf Denk- und Problemlösekompetenz statt vollständiger Stoff-Checkliste; Transparenz, wo Zusatztraining nötig ist.

  • Beurteilung als Entwicklungsspiegel: Portfolios + Kompetenzraster machen Können nachvollziehbar; Noten treten zurück (oder werden nur systemintern geführt).

  • Elternkommunikation individualisieren: Nicht „alle Eltern“ – Bedürfnisse unterscheiden sich. Vertrauen entsteht durch klare Beispiele aus Portfolio & Zielvereinbarung.

  • Ressourcen & Coaching: Echte Begleitung vieler Individuen ist anspruchsvoll – Coaching-Elemente helfen, auch wenn Systemgrenzen bleiben.

  • Integrität & Ehrlichkeit: Offen über KI/Hausaufgaben umgehen: lieber ehrlich „nicht geschafft“ als Scheinleistung.

Zusammenfassung Philippe Wampfler

Umsetzung fürs Klassenzimmer

1. Partizipation ernst meinen

  • Schüler*innen-Rat einführen (feste Rollen: Protokoll, Zeitwächter, Themen-Sammler).

  • Echte Beteiligung: Bei Projekten oder kleinen Entscheidungen Mitsprache mit Verantwortung koppeln (z. B. Wer etwas vorschlägt, übernimmt auch einen Teil der Umsetzung).

  • Einblicke geben: Kindern erklären, wie Entscheidungen zustande kommen – nicht nur Ergebnis mitteilen.

2. Agile Didaktik leben

  • Vorbereitet, aber offen: Materialien in Reserve haben, aber je nach Klasse/Tag flexibel entscheiden, was passt.

  • „Nächster bester Schritt“: Unterricht am Lernstand ausrichten, nicht am Plan abspulen.

  • Reflexionsfragen: „Was hat euch heute am meisten geholfen?“ – damit die Klasse merkt, dass ihr Beitrag den Verlauf bestimmt.

3. Studenting reduzieren

  • Erlaubnis zur Ehrlichkeit: „Ich weiss es (noch) nicht“ ist erlaubt.

  • Aufgaben = echt, nicht fürs Theater: Keine künstlichen Heftkontrollen oder Füllarbeiten, sondern Belege, die Sinn haben.

  • Sprich es an: Mit der Klasse über „Studenting“ reden und gemeinsam entscheiden, welche Regeln wirklich fürs Lernen nötig sind.

4. Struktur + Freiheit verbinden

  • Rituale geben Sicherheit (gleiche Starts/Schlussrunden).

  • Arbeitsphasen offen halten: Kinder dürfen Tempo und teilweise Inhalte wählen.

  • Differenzierung: Zusatzaufgaben für Schnellere, Unterstützung für Langsamere – ohne alle in denselben Takt zu zwingen.

5. Prüfungs- und Notendruck entgiften

  • Kompetenzen betonen: „Wir lernen, wie man denkt und Probleme löst“ statt „Wir müssen alles durchnehmen“.

  • Zusatzpfade anbieten: Spezielle Dossiers/Trainings nur für Kinder, die eine Prüfung anstreben – kein Zwang für alle.

  • Elternkommunikation transparent: Klar machen, dass Lernhaltung und Strategien wichtiger sind als Lückenfreiheit.

6. Beurteilung als Lernspiegel

    • Kompetenzraster + Portfolios nutzen, um Fortschritt sichtbar zu machen.

    • Lerngespräche regelmässig führen (Kind reflektiert: „Was kann ich schon? Wo übe ich noch?“).

    • Elternwahl ermöglichen: Portfolio-Bericht in den Vordergrund stellen, Note nur als Systemanforderung.

 

Neue Türen öffnen mit Joachim Dell

Takeaways

  • Vom Einzelkämpfer zur Crew: Unterricht und Verantwortung werden geteilt („unsere Lernenden, unser Unterricht“), nicht „mein Fach, meine Klasse“.

  • Team-Teaching & flexible Rollen: Lehrpersonen nutzen bewusst ihre Stärken, geben Schwächen frei zu – das macht frei und glaubwürdig.

  • Selbstorganisiertes Lernen ≠ Allein lassen: Probleme/Lernaufgaben gemeinsam denken, in Gruppen lösen, Entscheidungen mit Lernenden treffen.

  • Räume & Zeiten öffnen: Türen auf, Gruppentische, bewegliche Settings; der Bedarf der Lernenden steuert, nicht die Stundentafel.

  • Gemeinschaft vor Konkurrenz: Helfen & Hilfe annehmen explizit wertschätzen; Wettbewerb reduziert Lernfreude und erhöht Stress.

  • Kommunikation ist die halbe Miete: Lernende und Eltern verstehen das Warum – Verantwortung wandert vom „Lehrer bringt bei“ zu „ich lerne“.

  • Start mit Beziehungsarbeit: Die ersten Wochen dienen dem Kennenlernen, Teambuilding, Regeln gemeinsam entwickeln.

  • Differenzierung durch Teamstruktur: Starke lernen durch Erklären tiefer, Schwächere profitieren – alle gewinnen.

  • Inseln bauen statt alles auf einmal: Mit 2–3 Kolleg*innen ein Pilot-Setting starten; Transparenz nach innen und aussen.

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Umsetzung im Klassenzimmer

1) Sofort: Team & Setting

  • Verbündete suchen (2–3 Personen). Ziel: eine Klasse/Gruppe gemeinsam übernehmen.

  • Raum umbauen: Gruppentische, „Wohnlichkeit“ (Teppich/Ecke), Materialstation. Türen zu Nachbarklassen möglichst offen halten.

  • Rollen im Team klären: Wer moderiert, wer diagnostiziert, wer ist „On-Call“ für Deeskalation?

2) Startphase (erste 3–4 Wochen)

  • Sozial starten statt Stoff jagen: Täglich 1 Teambuilding-/Kooperationsaufgabe.

  • Regeln gemeinsam entwickeln: „Wie lernen wir fair, ruhig, miteinander?“ – sichtbar posten, wöchentlich kurz nachjustieren.

  • Meta-Kommunikation: Warum Selbstorganisation anspruchsvoll, aber lohnend ist (Verantwortung, Freude, Zukunftsfähigkeit).

3) Lernformate (laufend)

  • Problem-first statt Plan-Abhaken: Gib echte Aufgaben mit mehreren Lösungswegen (z. B. „Wie planen wir einen Klassenevent?“, mit Mathe/Deutsch/ICT drin).

  • Gruppen mit klaren Rollen: Sprecher*in, Protokoll, Material, Coach (rotierend).

  • Lehrkraft als Mentor: Während Gruppen arbeiten, führst du Mini-Dialoge: „Wo stehst du? Nächster Schritt? Woran machst du Erfolg fest?“

4) Differenzierung ohne Extraaufwand

  • Drei Tiefen pro Aufgabe: Basis – Transfer – Challenge.

  • Peer-Tutoring bewusst nutzen: „Wer hat’s verstanden und erklärt’s einer anderen Gruppe in 3 Minuten?“

  • Schnell/Langsam auffangen: Früh-Fertige = Vertiefung/Coach-Aufträge; Wer ringt = kurze 1:1-Impulse, nicht Frontalreprise.

5) Eltern an Bord holen

  • Info in 10 Minuten: Was, warum, wie messen wir Erfolg (Lernprodukte, kurze Reflexion), keine Überraschungen.

  • Team präsentiert, nicht Einzelne. Einladung: „Fragen? Sorgen? Wir hören zu.“

Mini-Toolbox

A. Gesprächs-Script (Tag 1, 2 Minuten)
„Wir lernen ab heute miteinander. Helfen macht stolz, Hilfe annehmen macht stark. Wir probieren, irren, verbessern – gemeinsam.“

B. Wochenroutine (immer gleich, braucht 5–7 Min)

  • Montag-Start: Zielkarte: Diese Woche will ich… (1 Satz, messbar)

  • Mittwoch-Check: Was lief? Wo hakt’s? Wen frage ich?

  • Freitag-Exit: Beweisstück + 1 Satz: „Das habe ich gelernt, so habe ich’s geschafft.“

C. 3 schnelle Kooperationsaufgaben

  1. 60-Sekunden-Erklärung: Erkläre deiner Gruppe ein Teilproblem in 60 s – Gruppe stellt 1 Rückfrage.

  2. Fehler-Freudenfest: Eine Gruppe präsentiert einen Fehler + wie sie ihn gelöst hat.

  3. Stille Bauleitung: Eine Person beschreibt, die anderen bauen/zeichnen ohne zu sprechen.

D. Eltern-Mail (3 Sätze, copy-paste)
„Wir öffnen Lernen: mehr Zusammenarbeit, echte Probleme, klare Ziele. Ihr Kind trägt Verantwortung – wir coachen. Erfolg zeigen wir über Lernprodukte & kurze Reflexionen; Noten bleiben transparent anschlussfähig.“

30–60–90

  • 0–30 Tage: Team fixieren, Raum umstellen, 3 Kooperationsrituale etablieren, 1 fächerübergreifende Wochenaufgabe testen.

  • 31–60 Tage: Drei-Tiefen-Aufgabenbank bauen, Elternabend/Info durchführen, Peer-Tutoring systematisieren.

  • 61–90 Tage: Stundenplan flexibel denken (Block für Projektarbeit), Tür-auf-Kooperation mit Nachbarklasse, Mini-Evaluation (1 Frage pro Stakeholder: Was hilft dir am meisten?).

 

Innovation in der Schule mit Jean-Philipp Hagmann

Innovation ist nicht automatisch gut. Wichtig ist, immer wieder zu prüfen: „Stimmt die Regel von früher noch?“

  • Zwei Arten von Innovation:

    • Schrittweise: Bestehendes verbessern.

    • Radikal: Problem neu denken → alternative Lösung.

  • Erster Schritt ist der schwerste (Haftreibung). Sobald Bewegung drin ist, geht’s leichter (Gleitreibung).

  • Systemabhängigkeit (QWERTZ-Effekt). Bestehende Systeme hängen aneinander – Noten, Wirtschaft, Uni etc. → schwer, auszubrechen.

  • Lokales vs. globales Maximum. Wir optimieren das Alte, statt Neues von Grund auf zu wagen.

  • Selbsterhalt von Systemen. Systeme stossen Neues ab, auch wenn alle wissen, dass es nicht sinnvoll ist.

  • Sokratische Ignoranz. Bewusstsein, dass wir vieles nicht wissen → Motor für Neugier und Kreativität.

  • Mehr ist nicht immer besser. Wir neigen dazu, durch Ergänzungen zu lösen, statt durch Weglassen (Subtraktion).

  • Die Frage bestimmt die Lösung. Neue Fragen öffnen neue Möglichkeiten („Wie schützen wir Köpfe ohne Helm?“).

Innoation in der Schule: Zusammenfassung herunterladen

https://vimeo.com/1007190928?share=copy

Umsetzung im Klassenzimmer

1) Mini-Demo „Erster Schritt“

  • Radiergummi auf Schiefertafel kippen → Haftreibung.

  • Transferfrage: „Welcher kleinste erste Schritt bringt dich heute ins Rollen?“ (z. B. ein Wort schreiben, Schuhe anziehen).

2) QWERTZ-Puzzle

  • Tastatur ausdrucken, Buchstaben ausschneiden. Auftrag: „Baut eine bessere Tastatur!“

  • Reflexion: „Warum nutzen wir trotzdem QWERTZ?“ → Abhängigkeit von Systemen sichtbar machen.

3) Weisse-Flecken-Tafel

  • Spalte A: „Was wir wissen“

  • Spalte B: „Was wir noch nicht wissen“

  • B bewusst feiern → Neugier anregen.

4) Subtraktions-Übung

  • Frage: „Wie machen wir die Aufgabe leichter, wenn wir etwas weglassen?“

  • Beispiel: Text kürzen statt mehr Hilfen hinzufügen.

5) Frage-Reframing

  • Zwei Versionen derselben Aufgabe stellen:

    • „Wie … verbessern?“

    • „Wie … ohne …?“

  • Schüler*innen sehen: andere Fragen → andere Lösungen.

6) Fehler = Überraschung

  • Neues Vokabular einführen: „Fehler = Überraschung“.

  • Ritual: Am Ende jeder Stunde schreibt jede*r: „Heute hat mich überrascht, dass …“