Widerstand
Ich führe als junge Lehrperson eine 3. Primarklasse.
Ein Junge ist in dieser Gruppe. Er wurde bereits früher einmal aus der 1. Klasse in eine andere Klasse versetzt, weil es dort mit der Lehrperson und in der Gruppe gar nicht gut lief.
M. ist sehr sensibel, hat die Diagnose ADHS und wird medikamentös unterstützt. Hier in meiner Klasse läuft es mehrheitlich gut ab. Er kommt gerne in die Schule und sagt, er habe eine sehr nette Lehrerin und viele Freunde. 😊
Alle paar Wochen aber kommt es zu Situationen, wo er sich völlig verweigert, nur noch auf dem Boden liegt und auch andere Kinder daran hindert, aus dem Schulzimmer zu gehen. Meist ist es in einer Lektion gegen Ende des Tages. Wenn er schon müde und überreizt ist und die Wirkung der Medikamente nachlässt, braucht es nur noch ein falsches Wort als Auslöser.
Wenn ich in solchen Situationen alleine mit der Klasse bin, fühle ich mich komplett überfordert!
Er hört dann gar nicht mehr auf mich. Sodass ich ihn packen müsste, um ihn vom Boden wegzubekommen oder um ihn daran zu hindern, andere Kinder zu stören / schlagen.
Das Handgreifliche geht mir vollkommen gegen den Strich. Das will ich nicht tun!
Ich kann mich in solchen Situationen nicht gleichzeitig in Ruhe um ihn kümmern und die Klasse führen.
Oft ist eine Schulische Heilpädagogin oder eine Schulassistenz dabei. Doch es gibt einzelne Lektionen, da bin ich allein mit der Klasse.
Ich fühle mich so sehr verunsichert und überfordert in solchen Situationen, dass ich immer Angst davor habe, es könnte gleich wieder passieren.
Aus dieser Befürchtung heraus, reagiere ich dann nicht immer ideal. Z. B. verlange ich etwas nicht von ihm, weil er sich wieder lauthals verweigern könnte. Das merkt M. und nutzt es aus.
Was könnte mich dabei unterstützen, mit M. in diesen Situationen ruhig und klar zu reagieren?
Ich wäre sehr froh, um ein paar hilfreiche Gedanken dazu.
Vielen Dank schon im Voraus.
Es ist toll, dass du bereits eine positive Beziehung zu M. aufgebaut hast und er sich bei dir und in der Klasse wohlfühlt – das ist eine wunderbare Grundlage! Es ist auch völlig verständlich, dass du dich in Situationen, in denen du alleine mit der Klasse bist, überfordert fühlst. Die Balance zu finden zwischen der Betreuung von M. und der Führung der gesamten Klasse kann unglaublich herausfordernd sein. Es ist wichtig, dass du dir bewusst machst: Du kannst nicht alles allein schaffen, und es ist auch nicht deine Aufgabe, 1:1-Betreuung zu bieten, während du gleichzeitig eine ganze Klasse im Blick hast.
Einige Ideen, die dir im Umgang mit M. helfen könnten:
Wenn du das Gefühl hast, dass M. die Grenzen ausnutzt, ist es wichtig, dass du liebevoll, aber konsequent bleibst. Es ist absolut okay, wenn du ihm klare Grenzen setzt, auch wenn du Angst hast, dass es zu einer Verweigerung kommt.
Und ganz wichtig: Am Montag gibt es unseren Expertentalk mit Lea Schnyder. Sie hat so viele wertvolle Tipps und Ansätze, gerade im Umgang mit ADHS. Es wäre super, wenn du dabei wärst, um noch tiefer in das Thema einzusteigen und Fragen direkt stellen zu können.
Bleib dran – du machst das toll!
Ich kann gut mit dir mitfühlen, dass das herausfordernde Situationen sind für dich.
Es kann leicht passieren, dass wir nach solchen Momenten, alles was schon gut läuft aus den Augen verlieren.
Denn wenn er gerne in die Schule kommt, seine Lehrerin toll findet und viele Freund hat, ist da schon ganz vieles, was bisher gut gelaufen ist 🙂
Du hast von Branka schon ganz viele gute Vorschläge bekommen, wie du ihn begleiten kannst, damit er sich immer wieder beruhigen kann, damit es möglichst gar nicht zu einem Ausbruch kommt.
Ich finde es wichtig, dass du deine Aufmerksamkeit auch auf dich selbst richtest.
Vielleicht helfen dir folgende Fragen:
Wie hoch sind deine Erwartungen an dich selbst?
Hast du das Gefühl, dass du mit diesen Herausforderungen alleine fertig werden musst?
Wie ist es für dich, Unterstützung anzunehmen?
Gerade in solchen herausfordernden Situationen in der eigenen Klasse, kann es enorm hilfreich sein, wenn man in einem Team einen guten Zusammenhalt hat und sich gegenseitig unterstützt fühlt.
Du könntest Abmachungen mit den anderen Lehrpersonen treffen, welche ihre Schulzimmer in deiner Nähe haben. Ev. kann M. einmal für eine Lektion in eine andere Klasse auf Besuch gehen und dort arbeiten.
Ihr könnt ein Zeichen abmachen und dann kommt ihn ein älterer Schüler oder eine Schülerin abholen.
Manchmal hilft es schon, wenn die Lehrperson der anderen Klasse in einem schwierigen Moment kurz vorbei schaut.
Es geht darum, dass die Schüler*innen merken, dass du nicht als Einzelperson für deine Klasse da bist, sondern dass du ein Team im Rücken hast, das dich stärkt und ihr euch gemeinsam dafür einsetzt, dass sich alle wohl fühlen und lernen können.
Versuche andere Personen wie die Schulische Heilpädagogin, die Assistenzperson und andere einzubinden, um die Verantwortung gemeinsam tragen zu können.
Wenn du merkst, dass dich diese Situationen zu stark belasten, lasse dich unbedingt auch auf der persönlichen Ebene begleiten.
Ich wünsche dir, dass du erkennst, wieviel du schon sehr gut hinbekommen hast und dass du immer wieder vertrauensvoll neu in den nächsten Tag starten kannst.
Zunächst einmal möchte ich dir ein großes Lob aussprechen: Du machst bereits eine hervorragende Arbeit! Es ist toll zu sehen, wie M. sich in deiner Klasse wohlfühlt und dich sowie seine Mitschüler schätzt. Deine einfühlsame und unterstützende Art trägt dazu bei, dass er gerne zur Schule kommt, und das ist ein riesiger Erfolg, den du dir auf jeden Fall anerkennen solltest.
Ich möchte dich auch darin bestärken, dass es nicht deine Aufgabe ist, M. allein zu “retten” oder alles perfekt zu lösen. Es ist ganz normal, dass es herausfordernde Situationen gibt, und du solltest dir nicht den Druck auferlegen, in jedem Moment eine perfekte Lösung zu finden. Es muss nicht alles von dir abhängen. Manchmal ist es sinnvoll, Verantwortung zu teilen und Unterstützung anzunehmen.
M. spürt möglicherweise, dass du manchmal zögerst, weil du Angst vor den Konsequenzen seiner Reaktionen hast. Das ist völlig verständlich, aber auf lange Sicht könnte es dazu führen, dass er die Situation ausnutzt – und das bemerken auch die anderen Kinder. Es ist ein wenig so, wie wenn Eltern dem Kind im Supermarkt den Lolli geben, damit es keinen Aufstand macht – kurzfristig scheint es eine Lösung zu sein, aber langfristig tut man weder sich selbst noch dem Kind einen Gefallen.
Es könnte hilfreich sein, mit dem Rektor oder anderen Kollegen zu sprechen, um einen Plan zu entwickeln. Vielleicht gibt es eine Art “Notfallnummer”, die du nutzen kannst, wenn M. einen Anfall bekommt. Du könntest dann im Bedarfsfall jemanden anrufen, der schnell zu dir ins Klassenzimmer kommt und dir hilft, sodass du keine Angst mehr haben musst, es allein nicht bewältigen zu können.
Eine weitere Idee wäre, die Klasse in die Lösung einzubeziehen. Du könntest zum Beispiel einen “Lehrervertreter” wählen – ein Schüler, der in solchen Momenten übernimmt und die Klasse leitet, während du dich um M. kümmerst. Das gibt dir die Möglichkeit, dich voll auf M. zu konzentrieren, während der “Lehrervertreter-Schüler/in” ein von dir vorbereitetes Spiel oder ähnliches mit der Klasse durchführt.
Hab Vertrauen in deine Fähigkeiten und scheue dich nicht, um Hilfe zu bitten, wenn du sie brauchst. Das zeigt wahre Stärke!
Das klingt wirklich nach einer Herausforderung und ich kann auch wirklich nachvollziehen, dass sich die Situation überfordernd anfühlt. Es ist ja auch nicht einfach ruhig und bedacht zu reagieren, wenn man vor der Situation auch etwas Angst hat. Das ist völlig verständlich – hätte ich hier auch.
Es ist aber wirklich toll, dass du dennoch nicht aufgibst und weiter nach Möglichkeiten suchst mit M.s Verhalten umzugehen, die nicht handgreiflich sind. Ich denke es ist jetzt auch genau richtig, so oft wie möglich mit anderen darüber zu sprechen und nicht allein nach einer Lösung zu suchen.
Meine Erfahrung hat gezeigt, dass ganz klare Strukturen und Abläufe echt enorm wichtig sind, so wie Branka schreibt. Dass er auch lernt sich selbst ein bisschen regulieren zu können aber auch die Eltern haben hier bestimmt noch hilfreiche Tipps und könnten mithelfen, dass es besser werden kann.